Newsletter Januar 2018
Inhaltsverzeichnis
Editorial
Liebe Waldorffreund*innen nah und fern,
wir wünschen Euch nachträglich noch alles Gute zum neuen Jahr, möge es froh und kraftvoll für Euch begonnen haben!
2018 ist nun das Jahr vor unserem großen Jubiläumsjahr, das weltweit noch stärker als 2017 von zahlreichen Aktivitäten und Vorbereitungen zu Waldorf 100 geprägt sein wird – schließlich sind es ja auch „nur“ noch 600 Tage bis zu unserem bedeutenden Geburtstagsfest in Berlin am 19. September 2019.
Bis dahin haben wir – also wir alle! – noch viel vor, denn es geht ja darum, dass wir durch unsere Arbeit mit den Kindern und im Bewusstsein der großen Fragen unserer Zeit die Kraft und Aufmerksamkeit für die wirklich wesentlichen Dinge finden. Denn wir wollen ja die Waldorfpädagogik mit Schwung und einer am werdenden Menschen orientierten Qualität in das nächste Jahrhundert tragen.
Dabei geht es natürlich immer auch um unsere ganz konkreten „Herzensprojekte“, die allen Schüler*innen rund um die Welt zugutekommen. Der globale Postkartentausch ist ja schon in vollem Gange. Bestimmt sind auch bei Euch schon viele bunte Karten aus den unterschiedlichsten Ländern eingetroffen, oder? Habt Ihr denn schon eine Form gefunden, um all diese kleinen Kunstwerke sichtbar zu machen? Wir freuen uns über Fotos davon! Außerdem möchten wir Euch bitten, die Postkarten – falls noch nicht geschehen – jetzt zu versenden, damit der „Global Art Exchange“ wirklich sichtbar werden kann.
Wir freuen uns übrigens immer, wenn Ihr uns – und damit alle, die auf unsere Website gehen – an den Ideen, die bei Euch entstehen, teilhaben lasst, indem Ihr sie bei uns als Projekt einreicht, denn: Waldorf 100 lebt vom Mitmachen und von dem Engagement jedes Einzelnen!
In diesem Sinne wünschen wir Euch eine inspirierende Lektüre,
Euer Waldorf 100-Team!
Kernprojekte – An alle Waldorfschülerinnen und Waldorfschüler in der Welt!
Junge Autoren gesucht!
Liebe Schülerinnen und Schüler zwischen Alaska und Hawai, zwischen Tokyo und San Francisco, zwischen Irkutsk und Patagonien, zwischen Kapstadt und Helsinki, zwischen Christchurch und Kairo, zwischen Tel Aviv und Moskau, zwischen Flensburg und Alanya - kurz: überall auf der Welt, wo Ihr eine Waldorfschule besucht:
Wir möchten Euch herzlich einladen, an einem weltweit einzigartigen Projekt mitzumachen: Schickt uns einen Aufsatz, eine philosophische Betrachtung, ein Gedicht, ein Lied, einen Rap, ein (kurzes) Theaterstück oder etwas anderes, in dem Ihr Eure Gedanken, Gefühle, Hoffnungen, Erwartungen zu dem Thema "Wo ist der Mensch?“ in Worte fasst. Waldorf 100 ist ein Festival, das die ganze Welt in ihrer Vielfalt, in ihrer Schönheit, in ihrer Komplexität sichtbar machen will, und weil es dabei natürlich um Euch, die Schülerinnen und Schüler, geht, möchten wir auch Eure Stimmen zu einer so wichtigen Frage hören, wie sie hier gestellt wird: „Wo ist der Mensch?“ Wo seht Ihr ihn, worauf kommt es beim Mensch-Sein an, wie wünscht Ihr Euch eine menschliche Welt von morgen?
Bitte schickt uns nur Texte, die Ihr selbst oder zusammen mit anderen geschrieben habt. Da wir möglichst viele, vielleicht sogar alle, eingeschickten Texte auf unserer Homepage veröffentlichen wollen, brauchen wir Eure Erlaubnis, das zu tun. Schickt also bitte nur Texte, die Ihr zur Veröffentlichung freigebt. Je nach Rücklauf kann es sein, dass wir 2019 eine Auswahl Eurer Texte noch einmal gesondert veröffentlichen, vielleicht als Buch, vielleicht online. Deshalb ist es wichtig, dass Ihr uns nur Texte schickt, wenn ihr mit der Veröffentlichung einverstanden seid.
Die Texte könnt Ihr natürlich in Eurer eigenen Sprache verfassen, aber es wäre ganz wichtig, dass Ihr uns dazu schreibt, welche Sprache oder manchmal auch welcher Dialekt das genau ist. Wir werden sie dann im Original, aber auch in einer deutschen, englischen und spanischen Übersetzung veröffentlichen, sofern der Text das zulässt (bei Gedichten oder anderen gereimten Texten ist das nicht immer möglich). Wenn Ihr sie uns gleich zweisprachig schickt, freuen wir uns darüber!
Außerdem wäre es toll, wenn Ihr uns außer Eurem Namen, Eurem Land, Eurer Schule und Eurer Klasse und auch ein paar Informationen zu Euch selbst mitschickt: Was möchtet Ihr uns über Euer Land oder Euch selbst erzählen, warum habt Ihr uns diesen Text geschickt usw.
Wir freuen uns und sind sehr gespannt auf Eure Rückmeldungen! Bitte schickt uns Euren Text in einem dieser Formate: .DOC, .DOCX, .TXT oder .ODT per e-Mail.
Falls Ihr ein Foto hinzufügen wollt, holt Euch bitte vorher die Erlaubnis, dass alle Menschen, die darauf abgebildet sind, mit der Veröffentlichung einverstanden sind. Ohne diese Erlaubnis, die Ihr zum Foto hinzufügen müsst, freuen wir uns zwar auch, dürfen es aber nicht online stellen.
Für unser Waldorf 100-Team grüßt Euch Euer Henning Kullak-Ublick
Schulprojekte – Aktion „brush the way“
Aktion für eine weltweite „künstlerische Gestaltung“ von ungeliebten öffentlichen Durchgangsräumen
Seit sechs Jahren macht die Freie Waldorfschule Stade die Erfahrung, dass die jährliche malerische Ausgestaltung des Bahnhoftunnels durch die jeweilige 11. Klasse zu einer positiven Veränderung der einst bedrückenden Atmosphäre beigetragen hat. Außerdem zeigte sich, dass dieser Durchgangsraum seitdem weniger besprüht und verschmutzt wird. Jede 11. Klasse übernimmt während des Schuljahres außerdem die „bildnerische Pflege“, das bedeutet die Bearbeitung und Verwandlung von unangemessenen Äußerungen oder Zerstörtem.
Die Nutzer, täglich mehrere tausend Menschen, schätzen dieses Engagement sehr. Auch die Stadt und die Deutsche Bahn sind sich der Vorteile bewusst und unterstützen diese Initiative, über die besonders während des Gestaltungsprozesses gerne von der Presse berichtet wird.
Indem Waldorfschüler*innen in einer vernetzten Aktion 2019 weltweit zur Gestaltung „vergessener“ öffentlicher Räume beitragen, können sie ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit treten. Damit diese Vernetzung, ein lebendiger Erfahrungsaustausch sowie eine länderübergreifende Vorbereitung und Abstimmung gelingen, sind alle Schulen, die sich an der Aktion beteiligen wollen, aufgerufen und eingeladen, sich per eMail zu melden. Weitere Informationen zur Initiative sind hier zu finden, sowie in der „Erziehungskunst“ vom Januar 2013.
Es grüsst Hans-Wolfgang Roth (Kunstlehrer an der Freien Waldorfschule Stade)
Drei Fragen an... Michaël Merle
Michaël Merle ist seit 1999 in der Roseway Waldorf Schule in Durban, Südafrika, wo er die Klassen 10, 11, 12 und 13 (den Examensjahrgang) unterrichtet hat. Er lehrte Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Geographie und Religionswissenschaft und mentorierte andere Lehrer in den Fächern Geschichte, Literatur und Theater. Seit 2004 ist er der pädagogische Leiter der Oberstufe und Koordinator und leitender Dozent für die pädagogische Grundlagenarbeit der Lehrer an der Schule. 2003 trat er dem Rat der südafrikanischen Föderation der Waldorfschulen bei, in dem er die Lehrplanarbeit für die Oberstufen koordiniert und verantwortet. 2013 wurde er in die Internationalen Konferenz der Waldorfpädagogischen Bewegung berufen. Er gab auch Fortbildungen an Schwesterschulen in Johannesburg, Kapstadt und Windhoek (Namibia) sowie in Israel, Kenia und Australien. Seit 2017 ist er Priester in der Christengemeinschaft, er ist verheiratet und hat zwei Söhne.
Wie geht es den Waldorfschulen in Ihrem Land?
Die Waldorfschulen in Südafrika stehen einer doppelten Herausforderung gegenüber: Einerseits wollen wir das Wesen dieser außerordentlichen Pädagogik so zum Ausdruck bringen, dass alle, die sich dafür interessieren und engagieren möchten, den entsprechenden Zugang bekommen; andererseits kämpfen wir mit den anhaltenden Auswirkungen der weltweiten Rezession.
Welche besonderen Pläne hat Ihre Schule bereits für das 100-jährige Waldorfjubiläum?
Die Föderation der Waldorfschulen im südlichen Afrika und die Constantia Waldorf School, die älteste in Südafrika, die 2019 ihr sechzigjähriges Bestehen feiern wird, planen hierzu ein ganz besonderes Lern-Fest im Rahmen der jährlichen landesweiten Waldorflehrerkonferenz. Hierzu hoffen wir um die Osterzeit 2019 heutige und ehemalige Schüler, Eltern und die Öffentlichkeit (in welcher Form ist noch offen) einzubinden. Es ist vorgesehen, dass alle 18 Waldorfschulen in Südafrika aktiv teilnehmen.
Was ist für Sie persönlich das Essenzielle der Waldorfpädagogik?
Für mich ist das Besondere und das Wesentliche an der Waldorfpädagogik, dass sie sich an unsere Zeit – die Zeit der Bewusstseinsseele – richtet, und dass sie zur Unterrichtung des Kindes Inhalte und sorgfältig ausgewählte Erfahrungen verwendet. In diesem kindorientierten Ansatz, der sich auf die Entwicklung eines entfalteten, integrierten und bewussten Menschen richtet, können wir die Schule zu einem wesentlichen und lebendigen Ort machen, an dem sich die Kinder wirklich gerne aufhalten und wo sie auf ihrem Weg zu ihrem wahren Selbst Ermutigung und Liebe erfahren.
Termine
8. - 10. Februar 2018
Waldorf 100@Weltschulkonferenz in Córdoba und Buenos Aires, Argentinien
27. - 30. April 2018
Waldorf 100@Tagung für junge Waldorflehrer, Mannheim
14. Mai 2018
Waldorf 100@Weleda
Die Epoche als Kunstwerk
Von Johannes Braun (Quelle: Erziehungskunst September 2016)
Der Epochenunterricht ist eine der Besonderheiten der Waldorfpädagogik. Über mehrere Wochen beschäftigt sich die Klasse im Hauptunterricht mit einem Thema, das vielseitig zusammen mit dem Lehrer durchgearbeitet wird. Eine Epoche gelingt umso besser, je mehr der Unterricht zur Kunst wird.
Bei der Planung, Durchführung und rückblickenden Betrachtung einer Epoche wird mir immer klarer, dass das künstlerische Element im Unterricht in vielfältigster Weise zum Ausdruck kommen kann. Mehr noch: Je vollkommener und umfassender das künstlerische Prinzip den Unterricht durchzieht, und je mehr es den Stoff für die Kinder und mit den Kindern formt, um so eindrücklicher wird eine Epoche sein, um so befriedigter kann man gemeinsam auf sie zurückblicken.
Zunächst stellt sich die Frage: Wie beginne ich? Denn Einführung und Abschluss haben eine ähnlich wichtige Bedeutung, wie der Rahmen eines Bildes, der es erst richtig zur Geltung bringt, der Interesse weckt, ins Bild hineinführt, den ihm gebührenden Platz einräumt. So wie ein Musikstück die drei elementaren Bestandteile von Melodie, Harmonie und Rhythmus enthält, können wir auch bei einer Epoche auf die Suche nach diesen drei Elementen gehen und sie bei der Planung im Auge behalten.
Melodie
Was ist die Melodie in unserer Epoche? Nichts Anderes als unser Thema, der rote Faden, der sich durch die Wochen zieht, sich entwickelt, vielleicht in Variationen auftritt, zu einem Höhepunkt strebt und schließlich ausklingt. Je interessanter und gleichzeitig einfacher das Thema formuliert ist, desto besser bleibt es im Ohr, das gilt für die Musik wie für die Epoche. Überall muss das Thema anklingen, sowohl im kleinsten Detail, das beschrieben wird, als auch im großen Bogen, auf den immer wieder Bezug genommen wird. Die Melodie ist die Dimension des Voranschreitens, des Vorwärtsdrängenden. Unter den Seelenkräften steht sie dem Denken nahe.
Harmonie
Dem Element der Harmonie entspricht in der Epoche das Zusammenklingen verschiedener Aspekte unseres Themas. Neben die beschreibende Erzählung durch den Lehrer gehört das lebendige Unterrichtsgespräch. Auch die schriftliche und mündliche Ausarbeitung von Teilbereichen in kleinen Referaten durch die Schüler kann in der Mittelstufe mehr und mehr dazutreten. Die Gestaltung des Themas in den Epochenheften, gemeinsam ein Gedicht zu rezitieren, ein Lied zu singen oder mit der Klasse einen Ausflug zu machen, gehören ebenso zu dem Gebiet, das im Musikalischen der Harmonie entspricht. Die Harmonie lässt das Thema lebendig werden, macht es breit, farbig und reich. Sie spricht vor allem das Gefühl an und ist viel schwieriger zu fassen, als der lineare rote Faden.
Rhythmus
Das Geheimnisvollste dieser Drei aber ist der Rhythmus. Er hat mit dem Willen zu tun und ist unserem wachen Tagesbewusstsein weitgehend entzogen, denn er entsteht ebenso aus dem, was wir tun, wie aus dem, was wir nicht tun, was wir als Pausen, als Entspannung erleben. Der Herzrhythmus und das Abwechseln von Tag und Nacht sowie der Rhythmus des Atems können inspirierende Vorbilder für unsere Arbeit mit den Schülern sein. Die sorgende Mühe des Tages muss vertrauensvoll der Nacht übergeben werden, in der Zuversicht, dass das, was noch nicht erreicht wurde, am nächsten Tag seiner Vollendung zumindest ein Stückchen nähergebracht werden kann. In jeder Arbeit muss einer Phase des aktiven Aufnehmens, des Einatmens, eine Phase des Ausatmens, des Wiedergebens folgen, wenn wir nicht asthmatisch werden wollen. Auch im Unterricht muss diese Balance mit größter Sorgfalt beachtet werden, um eine gesunde Entwicklung der Kinder zu gewährleisten. So muss das konzentrierte Zuhören abwechseln mit Eigenaktivität der Kinder, Bewegung mit Ruhe, gemeinsame Tätigkeit mit individueller Reflexion, Kognitives mit Kreativem. Durch Rhythmus entsteht die Kraft, einer Sache auf den Grund zu gehen, aber auch an ihr zu wachsen – die vertikale Dimension. Alle drei – Melodie, Harmonie und Rhythmus – in ein Gleichgewicht zu bringen heißt, eine ausgewogene, schöne Dreidimensionalität zu gestalten, die der zu bildenden Seelenfähigkeiten Denken, Fühlen und Wollen des Menschen würdig ist. Das ist die anspruchsvolle Herausforderung in der Kunst der Musik wie der Kunst der Erziehung.
Epochenhefte
Die Gestaltung der Epochenhefte bietet eine wunderbare Gelegenheit für die Schüler, in schöpferischer Aktivität wiederzugeben, was sie durch den Lehrer aufgenommen haben. Dadurch verbinden sie sich intensiv mit dem Stoff. Durch stetiges Anhalten zu sorgfältiger, liebevoller Arbeit kann in ihnen eine Wertschätzung nicht nur gegenüber dem Gelernten, sondern auch gegenüber der eigenen Bemühung veranlagt werden. Durch die bewusste Betonung der künstlerischen Gestaltung kann auch eine ästhetische Erziehung gefördert werden:
- Die Rahmung ist wichtig, sowohl in Form einer ansprechenden Titelseite und eines ordentlichen Inhaltsverzeichnisses, als auch in Form eines kurzen Einführungs- und Schlusstextes, aber auch auf jeder einzelnen Seite durch einen schönen, gleichmäßigen Rand oder eine farbige oder sonstige Randverzierung.
- Text und Zeichnungen, Listen und Diagramme sollten sich abwechseln und gegenseitig unterstützen.
- Auf eine wohlproportionierte Seiteneinteilung, mit klaren, möglichst farbigen und gut abgesetzten Überschriften sollte Wert gelegt werden.
- Wenn von Anfang an auf eine gleichmäßige, ordentliche Schrift geachtet und diese geübt wird, nicht auf linierten Heftseiten, sondern mit Hilfe eines Linienblattes, dann kann diese erheblich zu einem schönen Gesamteindruck beitragen. Immerwährende Bemühungen des Lehrers um eine schöne Schrift an der Tafel haben Vorbildwirkung. Die Kinder schreiben ausschließlich mit Tinte.
- Ähnlich inspirierend und anregend sind schöne, sorgfältige Zeichnungen des Lehrers an der Tafel. Im Heft werden sie nicht mit dem einförmigen und daher vergleichsweise toten Filzstift, sondern mit dem variationsreichen Wachs- oder Holzfarbstift angefertigt.
- Knappe, vom Lehrer verfasste Texte werden zunehmend durch eigene Texte und kleine Aufsätze der Kinder zu gegebenen Themen ergänzt. Auch Gedichte sind geeignet.
Rudolf Steiners Hinweis, das Kind zwischen Zahnwechsel und Geschlechtsreife gehe grundsätzlich von der Haltung aus, die Welt sei schön, darf bei dieser Herangehensweise vielleicht dahingehend ergänzt werden, dass das Kind empfinden kann: "Die Welt ist schön und ich kann zu ihrer Schönheit durch mein eigenes Tun beitragen."
Zum Autor: Johannes Braun ist Waldorfklassenlehrer, zuerst in England, Kenia und Südafrika, heute in Balingen.