Wie alles begann: Die Geschichte der Waldorfschule

Nach der Gründung der Waldorfschule auf der Uhlandshöhe im September 1919 in Stuttgart wuchs die Schule sehr schnell. Die Kinder der Arbeiter der Waldorf Astoria Zigarettenfabrik kamen auf Initiative der Gründer Emil und Berta Molt, aber auch viele andere Kinder, deren Eltern nach dem Ende des I. Weltkrieges nach menschlicheren Werten und einer neuen Pädagogik suchten. Zwölf Gründungslehrerinnen und -lehrer gab es. Sie waren von Rudolf Steiner zu einem 14-tägigen Kurs eingeladen und dort menschenkundlich und didaktisch vorbereitet worden. Nun mussten sie die neue Pädagogik während des Unterrichtens erlernen. Kinder und Lehrer lernten gemeinsam. Und wenn das geschieht, findet Waldorfpädagogik, d.h. gemeinsame Entwicklung statt.

Bis zum Beginn des 2. Weltkrieges wurden 34 weitere Waldorfschulen gegründet: in Deutschland, der Schweiz, Holland, England, Norwegen und Schweden, in Ungarn und in Österreich sowie in den USA. Die von Rudolf Steiner unterstützten Gründungen trugen jeweils einen anderen Namen. Es gab eine Friedwartschule, eine Goetheschule, eine Vrije School, eine New School. Vom Gründer veranlagte Vielfalt bei gemeinsamen Wurzeln. Die Ausbildung der Lehrer – und an Lehrern herrschte damals und bis heute Mangel – konzentrierte sich auf Stuttgart; es kamen aber bald Ausbildungen in der Schweiz und in England hinzu. Die Herrschaft der Nationalsozialisten und der 2. Weltkrieg führten zur Schließung der Schulen in Deutschland, Österreich, Ungarn, teilweise in Holland und in Norwegen. In der Schweiz, in England und in den USA wuchsen die Schulen weiter und es kamen während des Krieges neue hinzu.

Von 1945 bis 1989 konsolidierte sich die Waldorfschulbewegung und wurde zu einem weit verbreiteten und gut gehüteten pädagogischen Modell. Es wurde von der Erziehungswissenschaft skeptisch bis ablehnend beäugt. In wenigen Staaten wie etwa in Deutschland, Holland und Skandinavien wurden die Freien Waldorfschulen als Schulen in freier Trägerschaft staatlich subventioniert. In den meisten Staaten finanzieren Eltern die Schulen. Und weil Kinder und Eltern strömten, wurden viele neue Kindergärten und Schulen gegründet, vor allem in Europa. Trotz der zum Teil prekären wirtschaftlichen Lage wuchs die Waldorfbewegung. 1985 bestanden schon 306 Schulen in 23 Ländern.

Die globale Ausbreitung bis in die hintersten Winkel der Erde erfolgte ab Mitte der 1980er Jahre bis heute. Interesse an Waldorfpädagogik besteht in etwa der Hälfte aller Staaten (knapp einhundert Staaten), unabhängig von Sprache, Religionszugehörigkeiten, demokratischen oder tendenziell totalitären Regimen. Auf allen Kontinenten gibt es Waldorfkindergärten und Waldorfschulen sowie die entsprechenden Ausbildungen. Es sind die Eltern, die für das Wachstum sorgen und die Kinder, die ihre Eltern führen. Sie wollen eine Zukunft, in der Humanität erworben werden kann, in der eine gesunde Entwicklung und damit gesellschaftliche Partizipation möglich ist. Die Waldorfschulbewegung ist mit etwa 1.100 Schulen und über 2.000 Kindergärten zur größten freien Schulbewegung weltweit geworden.

(Nana Göbel)